16.02.2023 • Verfasserin: Lena Fleischmann
In diesem Blog sind wir mit euch bereits in die Geschichte der Sport-Technologie eingetaucht. Im aktuellen Beitrag wollen wir nun genauer auf ein neues, ganz spezielles Hilfsmittel im Fußball eingehen: Die Torlinientechnik. Jeder, der die Nachrichten regelmäßig verfolgt, wurde sicher schon auf die sehr umstrittene Technik für Schiedsrichter aufmerksam gemacht. Die Torlinientechnik soll Schiedsrichtern im Spiel helfen, Situationen korrekt zu beurteilen und Fehlentscheidungen zu vermeiden. Denn neben dem allseits bekannten Wembley-Tor gab es in der Vergangenheit auch andere strittige Entscheidungen.
Ein Beispiel hierfür ist das Phantomtor von Sinsheim. Am 9. Spieltag der Bundesliga-Saison 2013/14 war Bayer 04 Leverkusen zu Gast beim TSG 1899 Hoffenheim. Beim Spielstand von 0:1 für Leverkusen bekam die Gastmannschaft eine Ecke. Stefan Kießling köpfte den Eckball am linken Pfosten vorbei, doch der Ball landete zur Verwunderung der Zuschauer trotzdem im Tor, da er durch ein Loch im Netz in den Innenraum des Tores flog. Felix Brych entschied in der 70. Minute auf Tor für Leverkusen, welche das Spiel dadurch mit 0:2 gewannen. Allen war klar, der Schiedsrichter hatte eine klare Fehlentscheidung getroffen und Hoffenheim legte Protest ein, welcher aber am DFB Sportgericht scheiterte. Dieses Tor führte zu einem großen Aufruhr und machte in den folgenden Tagen etliche Schlagzeilen.
Zu einem weiteren spannenden Ereignis kam es im WM-Achtelfinale 2010, in dem sich wie schon 1966 Deutschland und England auf dem Platz trafen. Beim Spielstand von 2:1 für Deutschland prallte ein abgefälschter Schuss von Frank Lampard von der Querlatte nach unten ab und sprang vom Boden nach vorne aus dem Tor heraus. Jorge Larrionda aus Uruguay wertete den Treffer nicht und ließ die Mannschaften das Spiel fortsetzen. Zeitlupenaufnahmen brachten kurze Zeit später die Gewissheit – der Ball war eindeutig hinter der Torlinie. England blieb der Treffer verwehrt und Deutschland zog mit 4:1 ins Viertelfinale ein. Ein ähnliches Ereignis konnte man 2013 beim Saisonauftakt vom TSG 1899 Hoffenheim gegen den 1. FC Nürnberg verfolgen. Kurz vor der Halbzeitpause führte Hoffenheim mit 2:0. Plötzlich erzielte Kevin Volland ein Tor, welches ebenfalls aufgrund des Dralls aus dem Tor herausspringt. Der damalige Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer gibt das Tor nicht und Nürnberg gelang im weiteren Spielverlauf der Ausgleich zum 2:2. Das Spiel endete mit einem Unentschieden. Dies führte zu einer großen Diskussion, denn es war fraglich, ob das Spiel so geendet hätte, wenn Hoffenheim mit einem 3:0 in Führung gegangen wäre. Kinhöfer sagte im Interview nach dem Spiel folgendes: “Erst als ich die Bilder im TV gesehen hatte, war mir klar, dass es ein Fehler war. Wo Menschen urteilen, passieren Fehler. Wir Schiedsrichter würden es begrüßen, wenn uns diese Geschichte abgenommen wird. Aber das ist nicht so. Also müssen wir Entscheidungen treffen – und die war diesmal leider falsch.”
Bevor wir den Einsatz der Torlinientechnik im Fußball beurteilen können, müssen wir uns auch mit der Auswirkung dieser auf den Schiedsrichter befassen. Hierfür muss man verstehen, welche Verantwortung und Aufgaben ein Schiedsrichter hat. Im Profibereich haben diese eine durchgetaktete Woche mit wenig Freizeit. An mindestens jedem zweiten Tag steht für sie Training mit Vorbereitung auf das anstehende Spiel auf dem Programm. Die Schiedsrichter reisen am Tag vor dem Spiel an und da die meisten Spiele erst abends stattfinden, auch am nächsten Tag erst wieder ab. Sie sind somit im Durchschnitt 3 Tage für ein Spiel unterwegs. Hinzu kommen Lehrgänge, Stützpunkte und weitere Veranstaltungen. Die meiste Zeit sind die Schiedsrichter deutschlandweit unterwegs. Manchmal werden sie auch zweimal pro Woche eingesetzt, wenn wichtige Veranstaltungen, wie ein Pokalspiel oder eine internationale Champions-League Partie stattfinden. Auch die Reise bringt Strapazen und Stress mit sich. Nicht davon abgesehen, dass hierbei wenig Zeit für die Familie und persönliche Interessen bleibt. Die wenigsten Schiedsrichter können dies hauptberuflich machen und müssen nebenbei zudem noch einen weiteren Beruf, welcher ebenfalls Termine und Verpflichtungen mit sich bringt, ausüben. Dem will der DFB entgegenwirken und will das Honorar der Schiedsrichter anheben und diese vertraglich an den Verband binden, denn schon 1981 erkannte der DFB den Mangel an qualifizierten Schiedsrichtern und warb mit dem Slogan “Sei fair zum 23. Mann – Ohne Schiedsrichter geht es nicht!”.
Auch auf dem Feld hat der Schiedsrichter vielseitige Aufgaben. Um alles im Auge zu haben, muss er immer auf der Höhe des Spielgeschehens sein. Mit 10 bis 15 hochintensiven Laufkilometern pro Spiel und bis zu 50 Sprints zwischendurch stellt dies eine sehr hohe physische Belastung dar. Hierfür müssen Schiedsrichter auch neben ihrer Arbeit viel trainieren, um mit den Profifußballern Schritt halten zu können. Der DFB stellt diese physische Belastbarkeit mit Leistungstests fest, welche ein Schiedsrichter vor dem Einsatz im Profisport absolvieren muss. Zudem muss er nicht nur schnell laufen, sondern auch urteilen können. Die Entscheidungen, die ein Schiedsrichter in wenigen Sekundenbruchteilen treffen muss, müssen faktisch richtig sein. Das erwarten nicht nur die Spieler, sondern auch die Trainer, Fans und auch Firmen und Verbände, denn eine Fehlentscheidung kann große Auswirkungen auf die Vermarktung eines Vereins und die Einnahmen für diese aus TV-Rechten haben. Sie werden ständig beobachtet von tausenden Menschen im Stadion und vor dem Fernseher, von Kameras und den Medien. Ein großer psychischer Druck, dem man nicht gerne ausgesetzt ist. Hinzu kommen die Konsequenzen bei einer vermeidlichen Fehlentscheidung. Jeder hat schon einmal gesehen, wie Spieler den Schiedsrichter verbal beleidigten oder anspuckten. In der Vergangenheit wurden auch schon Spiele abgebrochen, weil Fans einen vollen Bierbecher auf einen Schiedsrichterassistenten geworfen hatten und dieser dadurch zu Boden ging. Um die Schiedsrichter besser zu schützen und den Druck zu senken, wurden weitere Hilfsmittel eingeführt.
Die folgenden Hilfsmittel sollen den Schiedsrichter dabei unterstützen, Spielsituationen richtig zu beurteilen und die Anzahl von Fehlentscheidungen im Fußball zu minimieren. Diese kann man in technische und nicht-technische Hilfsmittel unterteilen:
Zu den nicht-technischen Hilfsmitteln gehören neben der Pfeife als akustisches Signal auch die Schiedsrichter-Assistenten. Sie werden auch Linienrichter genannt und befinden sich während eines Spiels an den Seitenauslinien. Die Aufgaben der Assistenten bestehen darin, Foulspiele, Handspiele, Abseits und Bälle im Seitenauß und hinter der Torlinie anzuzeigen. Zudem gibt es einen weiteren Helfer im Schiedsrichtergespann – der vierte Offizielle. Dieser wurde in der Saison 2002/2003 eingeführt und überwacht Auswechslungen und die Nachspielzeit am Ende der beiden Halbzeiten. Eine weitere Aufgabe des vierten Offiziellen ist es, die emotionalen Äußerungen von Trainern und Funktionären im Zaum zu halten und deeskalierende Gespräche mit diesen zu führen. Wird dies ignoriert, kann er auch beliebige Personen auf der Bank des Platzes verweisen. Zuletzt kamen 2008 erstmals Torlinien-Schiedsrichter, eine nicht-technische Unterstützung vor der Einführung der Torlinientechnik, zum Einsatz. Diese sollten offiziell dazu eingesetzt werden, um den Schiedsrichter bei allen Entscheidungen im Sechzehnmeterraum zu unterstützen.
Das erste technische Hilfsmittel der Schiedsrichter war das 2013 eingeführte Funk-System bestehend aus einem Headset zu verbalen Kommunikation und einem Vibrationsarmband zur Verbindung mit den Fahnen der Schiedsrichter-Assistenten. Drücken diese auf einen Knopf an der Fahne, bekommt der Schiedsrichter ein akustisches und ein Vibrationssignal am Oberarm. Der Schiedsrichter kann sich somit im Spiel bei einer Abseitssituation weiterhin auf das Spiel konzentrieren und muss den Blick nicht abwenden, um die Entscheidung seiner Assistenten mitzubekommen. Alle Offiziellen sind außerdem mit dem Headset ausgestattet, um die Beratung der Schiedsrichter untereinander zu vereinfachen und zügiger zu gestalten. Für sie ist es somit das ganze Spiel über möglich zu kommunizieren und das Spielgeschehen zu beurteilen. Viele Schiedsrichter können sich eine Arbeit ohne diese Erleichterung und Einsparung von zusätzlichen Laufwegen deshalb aktuell nicht mehr vorstellen. Ein weiteres technisches Hilfsmittel ist die Torlinientechnik. Diese Technik ist sehr komplex und soll im nächsten Abschnitt umfangreich vorgestellt werden.
Bei den Torlinientechnik werden zwei verschiedene Systeme genutzt. Zum einen ist dies eine Ballortung durch einen Chip im Ball, welcher seine Position durch ein elektromagnetisches Feld vermittelt, und zum anderen durch die Anwendung von Kamerasystemen. Zu den FIFA-lizenzierten chipbasierten Systemen, gehört zum einen GoalRef und zum anderen Cairos. Durch schwache elektromagnetische Felder rund um das Tor, kann das System GoalRef erkennen, ob der Ball die Torlinie überschritten hat. Dieses Feld wird durch zehn Antennen erzeugt, welche hinter der Querlatte und den Pfosten liegen. GoalRef ähnelt in seiner Funktion einer “Funk-Lichtschranke” – nur eben für den Ball. Um eine Veränderung des elektromagenetischen Feldes rund um das Tor zu erzeugen, müssen dünne Spulen im Ball verbaut werden.
So kann das System erkennen, wo sich der Ball zwischen Torlinie, Pfosten und Querlatte befindet und ein entsprechendes Signal in Echtzeit an die Armbanduhr des Schiedsrichters weiterleiten. Im Gegensatz zu GoalRef nutzt das System Cairos zwei elektromagnetische Felder. Hierfür müssen dünne Kabel durch einen 15 Zentimeter tiefen Einschnitt im Boden des Spielfeldes verlegt werden. Zudem werden weitere Kabel im Torgehäuse verlegt, was den Einsatz dieser Technik schon etwas schwieriger gestaltet. Durch die beiden elektromagnetischen Felder und einem Chip im Ball kann Cairos jederzeit berechnen, wo sich dieser auf dem Spielfeld befindet. Registriert das System ein Überschreiten der Torlinie, übermittelt es die Informationen ebenfalls an die Armbanduhr des Schiedsrichters. Damit der Chip in der Mitte des Balles fest verankert ist und seine Position während des Spiels nicht verändert, wird er durch zwölf Glasfasern gehalten. Durch diese komplexe Technik können die Hersteller garantieren, dass Cairos auch bei eingeschränkten Sichtverhältnissen und bei störenden Einflüssen von außen noch zu 100% exakt ist.
Einen großen Vorteil bringen im Vergleich zu den chipbasierten Systemen vor allem die kamerabasierten Systeme, da sie die Entscheidung auch für die Zuschauer visualisieren können und so für eine größere Transparenz sorgen. Bereits aus anderen Sportarten bekannt ist die Hawk-Eye Technik, welche im Fussball den Namen “Goal Decision System” bekommen hat. Das System der englischen Premier-League nutzt Hochgeschwindigkeitskameras, welche mehr als 100 Bilder pro Sekunde aufnehmen, um die Position und die Flugbahn des Balles zu verfolgen. Ein Computer wertet die Aufnahmen im Hintergrund aus und sendet dem Schiedsrichter das Ergebnis auf die Uhr. Weiterhin kann die Entscheidung auch auf den Leinwänden im Stadion mit der Bildunterschrift “GOAL” oder “NO GOAL” gezeigt werden. Die Animation ist sehr detailreich und somit gut für die Zuschauer nachvollziehbar. Auch in Deutschland entwickelte man eine sehr ähnliche Technik – das GoalControl 4D System. Dieses basiert auf 14 Kameras, welche ebenfalls um das Spielfeld positioniert werden und teilweise auch am Stadiondach angebracht werden müssen. Je sieben Kameras werden hierbei auf ein Tor ausgerichtet.
Ein Computer analysiert die Bewegung aller Objekte auf dem Feld, wobei störende Faktoren wie die Spieler oder der Schiedsrichter ausgeblendet werden. Der Ball wird von dem System kontinuierlich verfolgt und erfasst diesen automatisch, sobald er sich der Torlinie nähert. Wie bei allen anderen Torlinientechnik, sendet der Computer wieder ein Signal bei Überquerung dieser an die Uhr des Schiedsrichters. Die Kamerabilder können aufgezeichnet und gespeichert werden, sodass diese auch auf den Stadionleinwänden und und in den Medien verwendet werden können.
Durch die allgemein fortschreitende Technisierung in allen Lebenslagen wird sich auch der Fussball auf die Einführung von weiteren Hilfsmitteln einstellen müssen. Wie bei vielen Neuerungen stösst dies natürlich zunächst immer auf Gegenwind. Deshalb werden neue Techniken erst einmal getestet, um die Effektivität und den Nutzen dieser herauszufinden. Ein bisschen Skepsis ist hier angebracht und auch nicht alle Schiedsrichter sind vollends überzeugt vom Einsatz der Torlinientechnik im Spiel. Der Großteil äussert sich jedoch sehr positiv und kann sich die Arbeit ohne technische Hilfsmittel mittlerweile nicht mehr vorstellen. Es nimmt ihnen den Druck vor Fehlentscheidungen und gibt ihnen die Möglichkeit, sich auf wichtige Spielsituationen konzentrieren zu können. Auch die Autorität des Schiedsrichters soll hierbei nicht untergraben werden, denn es sind in jedem Spiel nur ein oder zwei Situationen, bei denen die Torlinientechnik zum Einsatz kommt und für alle Beteiligten Gewissheit schafft.
In Zukunft wird sich zeigen, welche Chancen Techniken wie diese dem Sport bringen und im Gegensatz dazu wird es auch immer wieder Situationen geben, in denen sie für viel Diskussionsstoff sorgen. Wir werden euch hierzu natürlich auf dem laufenden halten – also bleibt dabei und folgt uns bei Instagram, Facebook oder LinkedIn!
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